Was machst du mit deinem Wissen und Können? Birgit (8)

* Birgit, 67, Euskirchen im Januar 2022. 


Die Frage ist vielleicht noch ein bisschen zu früh. Ich fühle mich noch wie in einem Inkubator. Ich habe jetzt zum ersten Mal wirklich Zeit und wirklich Ruhe, mich reinzufinden in die neue Lebenssituation. 


Wann hast du aufgehört mit der Arbeit?

Am 1. Oktober 2021. Vor drei Monaten. Momentan ist es noch so, dass ich alles noch gerne weiter gären lassen möchte. Ich möchte der Versuchung widerstehen, sofort in eine neue Form, eine Initiative oder Gruppe zu gehen. Ich will erstmal Zeit haben zu gucken, was für mich kommt. Die neue Projektidee, oder das mit der Website zu verwirklichen, was schon so lange brach liegt und wozu ich nie die Zeit und Energie hatte, das ist jetzt erstmal mein Vordringlichstes. 


Kannst du beschreiben, woraus dein Wissen und Können besteht?

Mein Können, das kann ich sagen, ist über die Jahre gewachsen. Ich bin eine gute Netzwerkerin. Ich bin eine gute Koordinatoren und ich bin auch immer wieder Initiatorin. Das ist, was ich gut kann. Aber auch im Künstlerischen immer wieder in Projekten, in Phasen zu bestimmten Themen etwas zu bearbeiten und das dann in die Welt zu bringen. Das hat auch oft mit anderen zu tun. Es ist nicht Kunst um der Kunst willen, sondern immer verwoben mit anderen und zieht sich wie so ein roter Faden durch. Wie ein- und ausatmen. Dadurch habe ich mir natürlich auch Wissen erworben. Dadurch weiß ich, wie manche Sachen funktionieren, wie Wege gehen. Meine Intuition ist gewachsen. Ich habe in den Gruppen auch viel intuitiv gearbeitet, wo viele Ebenen zusammenfließen. Da ist ja auch viel Erfahrungswissen.


Wenn du von Gruppen sprichst, was meinst du damit?

Gruppen, die ich koordiniert habe, verschiedenste Gruppen. Einzelne Projekte, das war ein Kontinuum an durchgehenden Gruppen, die sich immer wieder getroffen haben, dann aber auch Gruppen, die für bestimmte Themen zusammenkommen oder Veranstaltungen. Das hatte verschiedene Ebenen. 


Darin bestand deine Arbeit.

Ja. ... Deine Frage "Was machst du mit deinem Wissen und Können?" hört sich so ein bisschen an wie ein Auftrag. Also das Wissen will ja wieder in die Welt, aber ich brauche einfach erstmal Zeit. Ich will auch egoistisch sein, im positiven Sinne, dass ich erstmal sage, ich will das, was ich zurückgestellt habe ... ich habe ja sehr viel zurückgestellt, wo ich sehr viel Energie in meine Arbeit reingegeben habe. Das war nicht im Gleichgewicht. Da habe ich meine Sachen mehr vernachlässigt und das muss ich erstmal aufholen, wie Wohnung zum Beispiel. Aber zum Beispiel mit dem Bürgerdialog in meinem Quartier, da habe ich auch mein Wissen und Können angewandt, um andere zu motivieren, dass sie in diese Koordinationsgruppe gehen. Da bringe ich mich aktiv ein, so wie ich das kann. Längerfristig habe ich gedacht, etwas mehr für das Quartier zu tun, aber das hängt davon ab, ob ich da wohnen bleiben möchte. Ich werde auf jeden Fall zum Frühling hin zusammen mit anderen das Quartiersfest organisieren und koordinieren, für unser Wohnviertel. Wir haben den Ansatz, dass wir positive Ereignisse stattfinden lassen wollen, um die positive Energie im Viertel zu verstärken. 


Ich möchte auf deine Anmerkung eingehen, als du sagtest, meine Frage höre sich wie ein Auftrag an. Empfindest du dabei auch so etwas wie Druck?

Ja. Ich habe gemerkt, das macht mir jetzt aber Druck. Guckmal, ich bin ja froh, dass ich den Druck erstmal los bin mit der Arbeit. Da war ja viel mit Druck, Termine und größere Zusammenhänge, und ich brauche jetzt einen Zeitraum, und ich weiß nicht, wie lange er dauern wird, wo ich mich eben nicht sofort wieder verpflichte und dann wieder Druck kommt und ich wieder in Zwängen und Zusammenhängen bin, sondern da erstmal wirklich meinen Freiraum habe. Das wird sich schon  entwickeln und ich werde sicher früher oder später ... das Birkenprojekt läuft ja auch noch weiter. Ich habe ja sofort nach dem Ende der Arbeit meine Energie auf das Birkenprojekt, unser Kunstprojekt gerichtet, auf das Erstellen des Leporello, das war ja ganz viel Arbeit, ich  hatte noch gar nicht die Köstlichkeit des Freiraums, die habe ich ja noch gar nicht genießen können. Das war ja erstmal viel Arbeit und Verbindlichkeit. Jetzt erst kommt so ein bisschen der Freiraum.


Ich würde gerne mit dir zusammen fantasieren. Was glaubst du, wenn alles angehalten wird, null Anforderungen mehr da sind, was dann? Unser Wissen und Können bleibt ja da. Das verschwindet ja nicht.

Bildlich gesprochen ist das wie so eine Wolke, die ist da und läuft mit. 

Es geht ja auch viel um Identität. Wer bin ich denn jetzt? Auf was beziehe ich mich? Ich beziehe mich erstmal auf gar nichts. Ich werde auch nicht nachgefragt. Da entsteht erstmal ein Vakuum. Und das ist schwer auszuhalten. 

Wenn ich jetzt das Künstlerische nicht hätte, hätte ich erstmal nichts. Wer bin ich denn dann überhaupt? Ich bin ja erstmal ganz Mensch. Und überall wo ich bin, bin ich ja da, mit meinem ganzen Sein. Das ist ja quasi wie ein Mantel, den ich mal umgelegt habe, der mit meinen Erfahrungen gewachsen ist, und mit den Tätigkeiten, im Lauf der Jahre. Das klingt ja durch. Das klingt auch in den Begegnungen durch. Oder schwingt durch. Ich weiß nicht, wie man es jetzt nennen soll. Das ändert auch meinen Umgang mit den Menschen vielleicht, die ich jetzt treffe. 

Mein Interesse an Menschen ist ja ganz alt, das bleibt ja gleich. Da gucke ich nach der Nachbarin, die im Krankenhaus war, diese ganzen kleinen Alltäglichkeiten, die finden ja statt. Aber nicht mehr in einem Kontext, wo ich A dafür bezahlt werde, wo ich B eine Rolle habe und wo ich C auch Bestätigung bekomme. Das sieht jetzt ja kein Mensch, und ich erzähle das auch keinem groß. Das ist neu, und da muss ich jetzt aus mir selber heraus schöpfen. 


Man könnte ja auch sagen, wenn man sich in dieses Vakuum begibt, verzichtet man auf Anerkennung, Bestätigung, Rolle und Position.

Ja. Es ist jetzt die Frage, ist es ein freiwilliger Verzicht oder musste ich in Rente gehen, obwohl ich es noch gar nicht wollte. Ich hatte ja die privilegierte Situation, dass ich selbst wählen konnte und habe entschieden, dann und dann ist der richtige Zeitpunkt für mich, und ich konnte mich auch ein halbes Jahr darauf vorbereiten. Da bin ich mit einer Kraft gegangen und habe ganz viel mitgenommen an Fülle, die mich auch noch trägt. Da habe ich auch noch die schönen Geschenke stehen. Das wirkt ja auch noch nach, das fließt noch ein. Deshalb weiß ich nicht, ob Verzicht für mich das richtige Wort wäre. 


Ich habe so ein Bild. Ich trete aus dem ganzen Kontext heraus. Ich verlasse diesen ganzen Kontext, der das alles beinhaltet. Zugehörigkeit, Team, Bestätigung, Identität, das war in meiner letzen Arbeit ja sehr stark. Position, die von außen wahrgenommen wird, dadurch hast du gewisse Kontakte, da rauszutreten, das war ja ein aktives Rausgehen. Trotzdem lasse ich es hinter mir, und ich habe nicht mehr die Bedeutung. So würde ich das sehen. Das wird immer kleiner, und tritt in den Hintergrund. Das wirkt noch ein Stück, ich treffe noch die Gruppe online und es haben sich auch Freundschaften entwickelt, und es ist nicht so, dass jetzt alles abgeschnitten ist, manches läuft ja noch weiter in einem anderen Kontext.


Hast du Träume für die Zukunft?

Vielleicht zum Wohnen. Das ist noch nicht so ganz ausgegoren, dass da nochmal etwas Neues passiert. In einem anderen Kontext zu wohnen und vielleicht auch in einer anderen Stadt. Aber ich bin gar nicht so... ich wollte immer mal einen Film machen, aber das ist anders als träumen. Ich träume gar nicht mehr so, ich habe gar keine Sehnsüchte mehr, das ist anders. Ich lebe mehr aus dem Prozess heraus, was sich so entwickelt. Das finde ich gerade für mich viel angemessener als träumen. Da kommen Ideen und da kann ich drauf vertrauen, dass neue Ideen kommen, und es entwickelt sich weiter, dann da mitzugehen und das in die Welt zu bringen und da weiterzuarbeiten. Ich habe jetzt nicht das Traumkonzept.




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