Vom „ nicht mehr“ zum „ noch nicht“

 Ich war einige Monate mit meinem rechten Knie beschäftigt. Vieles ging nicht mehr. Das Knie hatte sich im Lauf der Jahre immer mehr verformt, ganz langsam, irgendwie unmerklich, aber wenn ich vor dem Spiegel stand und meine Beine anschaute, sah ich, dass sie nicht mehr so gerade waren wie früher, sie berührten sich nicht mehr an den Knien.

Warum ich hier so eine persönliche Geschichte erzähle? Weil sie den Unterschied zwischen „nicht mehr“ und „noch nicht“ deutlich macht. Und weil es für das Lebensgefühl von großer Bedeutung ist, ob wir das eine oder das andere Mindset haben. Ich war ins „nicht mehr“ geraten ohne es zu merken, denn aufgrund der Kniebeschwerden, hatte ich angefangen, dieses nicht mehr zu tun und jenes auch nicht. Ich hatte Vermeidungsstrategien entwickelt, ohne sie als solche zu bemerken. Es war „ normal“ geworden, keine langen Spaziergänge mehr zu machen und den Aufzug zu nehmen anstatt die Treppen und beim Treppe runtergehen das angeschlagene Bein zuerst zu setzen und dann nachzustellen, damit das angeschlagene Knie nicht in die Beuge muss. Alles Strategien, um zu vermeiden, dass erneut eine Schmerzphase ausgelöst wird, die mich dann ein, zwei oder drei Wochen zu noch mehr Einschränkungen bringt. Ich hatte mir selbst erklärt, dass das so ist wenn man alt wird. Der Arzt hatte mir erklärt, dass er mir Spritzen ins Knie setzen kann, dass aber die Röntgenbilder eher für ein neues Kniegelenk sprechen.

Es war ein Prozess. Heute Morgen, es ist Sonntag, sitze ich auf dem Balkon im dritten Stock in München und schaue in einen Innenhof mit Bäumen, die in den dritten Stock reichen, höre Vögel zwitschern und manchmal hustet ein Mann, der in meiner Vorstellung ein alter Mann ist und seinen morgendlichen Raucherhusten ablässt. Ein schreckliches Geräusch für alle Nachbarn, aber er will halt auch gerne auf seinem Balkon sitzen und die Vögel zwitschern hören, zwischen seinen Hustenanfällen.

Ich hatte mittlerweile eine KnieOP und habe damit den Schritt vom „nicht mehr“ ins „noch nicht“ getan.

Jetzt weiß ich, wie gefährlich es ist, sich im „nicht mehr“ einzurichten, weil man sich sagt, dass es im Alter eben so sei. Ja, früher war es so, aber heute mit den Möglichkeiten der modernen Medizin ist das anders. Ich war einfach nicht auf dem neusten Stand, obwohl ich es hätte sein können, denn es hat mir nicht an Information gefehlt. Was mir gefehlt hat war Mut. Ich hatte Angst, mich auf ein neues Kniegelenk einzulassen, auf den Prozess, auf die OP, auf die Erfahrung, auf die Ungewissheit, auf das Neue, auf ein Stück Metall in mir. Jetzt kann ich sagen, dass die OP geglückt ist, dass meine Knie sich wieder berühren, wenn ich vor dem Spiegel stehe, dass ich wieder ganz normal Treppen steigen und runtergehen kann. Noch bin ich langsam, aber schon schneller als letzte Woche und erst recht als vorletzte Woche. Es ist ein Prozess.

Ich bin allen, die bei diesem Prozess mitgemacht haben sehr dankbar, vor allem dem Operateur und den Physiotherapeut:innen. Sollte mein linkes Knie irgendwann auch anfangen zu schwächelnden, werde ich merken, ob ich wieder ins „nicht mehr“ gerate und aufpassen, dass es mich nicht wieder denken lässt, dass es eben so sei, wenn man alt wird, sondern möglichst bald die Möglichkeiten der modernen Medizin nutzen und meine Angst, die sich ebenfalls wieder melden wird, als Ausgangspunkt nehmen, um mutig einen Termin in der orthopädischen Klinik zu machen. 

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