Führungsrollen und -qualitäten in Wohnprojekten

Durch die Interviews für das Buch Ab ins Wohnprojekt! und jetzt durch die Lesungen, zu denen ich eingeladen werde, lerne ich beeindruckende Männer und Frauen kennen, die in langjähriger Arbeit an der Verwirklichung ihrer Idee, gemeinsam mit anderen, gearbeitet haben. Ehrenamtlich. Freiwillig. Für sich selbst und immer auch für andere.

Ihr Erfahrungswissen ist anderes Wissen als das von Experten und Fachleuten. Sie berichten nämlich immer auch von Enttäuschung und Frustration und vom Durchhalten und Überwinden von Hindernissen, von anderen aus der Gruppe, die entweder unterstützend mitgemacht oder sabotierend gewirkt haben. Sie erzählen von Situationen, in denen die Gruppe so geschrumpft ist, dass nur noch ganz wenige, manchmal sogar nur noch eine oder einer übrig geblieben ist. 

Die Führungsqualitäten solcher Männer und Frauen aus der Wohnprojekteszene beeindrucken mich sehr. Alle berichten davon, dass sie aus der eigenen Gruppe oft wenig Anerkennung erhalten. Sie werden oft aus den eigenen Reihen angegriffen und kritisiert. In der Szene ist Führung und die damit einhergehende Struktur, die an Hierarchie erinnert, überhaupt nicht gern gesehen und wird üblicherweise bekämpft. Diejenigen, die Führung übernehmen, müssen viel aushalten. Initiatoren und Visionsträgerinnen werden oft still, wenn ich sie frage, ob sie Dankbarkeit erhalten für ihr Engagement und die viele Zeit, die sie ins Projekt stecken. Die meisten sagen, dass sie überhaupt keine Dankbarkeit erwarten. Sie wären schon froh, wenn es ihnen nicht so schwer gemacht würde, ihre Führungsrolle auszuüben. 

Ohne diese Macher*innen würden die meisten Projekte nicht realisiert werden, ohne Führungsqualitäten Einzelner würden die meisten Gruppen sich irgendwann auflösen, weil die zu lösenden Aufgaben viel zu komplex sind als dass sie von allen gemeinsam gelöst werden könnten.

Ich frage mich, woran es liegt, dass so viele Konflikte in Gruppen entstehen, weil die einen sich bevormundet und die anderen sich gehindert fühlen. Die einen sagen: wie soll das denn gehen bei den vielen Entscheidungen, die getroffen werden müssen, wenn immer alle mitreden wollen, zu allem eine Meinung haben, sich aber nicht ausreichend informieren und auch nicht bereit sind, so viele Stunden in die Arbeit zu investieren. Die anderen sagen: wir wollen mitreden und nicht etwas vorgesetzt bekommen, wir wollen doch alle dasselbe und wir sind doch alle gleich.

Ist das so? Sind alle gleich nur weil alle das gleiche wollen? Und was ist mit all den Unterschieden? Was ist mit den Fähigkeiten, die jede*r hat? Mit den unterschiedlichen Kompetenzen?

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