Persönlicher Entwicklungsprozess in Wohnprojektgruppen

Wer sich zusammentut, um gemeinsam ein Wohnprojekt zu realisieren, denkt nicht unbedingt an einen persönlichen Entwicklungsprozess. Schließlich will man ja nur wohnen. Okay, diesmal zusammen mit anderen. Aber wieso soll dazu die eigene Entwicklung vonnöten sein?
Ich halte diese Einschätzung, sich selbst nicht entwickeln zu müssen, wenn man ein Wohnprojekt plant und verwirklicht, für eine Fehleinschätzung. Wer etwas tut, was er oder sie noch nie in ihrem Leben zuvor getan hat, sollte davon ausgehen, dass dieses Neue etwas erfordert, was er oder sie noch nicht kennt und noch nicht kann. Wer früher als Student*in in einer WG gewohnt hat, sollte nicht meinen, das würde als Erfahrung reichen, um später, oder erst im Alter, nochmal sowas ähnliches zu starten. Die Zeiten haben sich geändert. Man selbst auch. Wir wissen alle, wie individualisiertes Wohnen und Leben geht. Aber Gemeinschaftsleben? Wie das geht, das müssen wir lernen. Zumindest die allermeisten von uns.

Was passiert eigentlich, ganz allgemein betrachtet, wenn man etwas tut, was man noch nie getan hat?
Ich würde sagen, dass es verschiedene Strategien gibt, mit Neuem umzugehen. Die einen tun so, als würden sie sich auskennen, auch wenn das nicht der Fall ist. Dieses Verhalten ist bei Menschen zu beobachten, denen kein Verhalten für Nichtwissen und Nichtkönnen zur Verfügung steht. Sie verlieren sozusagen ihr Selbstbewusstsein wenn sie merken, dass sie etwas nicht wissen und können und kompensieren dieses für sie unangenehme Gefühl mit So-tun-als-ob. Dazu gehört auch, sich möglichst schnell möglichst viel Information über den Sachverhalt, um den es geht, zu beschaffen. Das ist heutzutage schneller als jemals zuvor möglich und führt dazu, dass Nichtwissende und Nichtkönnende mithilfe von Information den Schein erwecken, sie wüssten und sie könnten.

Eine andere Strategie mit Neuem im Leben umzugehen ist die, offen und selbstbewusst vor sich selbst und anderen zuzugeben, dass er oder sie das nicht kennt, kann, weiß und deshalb bereit ist, es zu lernen. Lernen aber ist viel mehr als Information zu sammeln. Das wäre ja bloßes Kopflernen und nachplappern. Wer sich aber aktiv für das Gelingen einer Gemeinschaft einbringen will, der oder die muss sich in einen persönlichen Entwicklungsprozess begeben. Und nur mit sich selbst entwickelnden Personen, die sich als Subjekte positionieren, kann sich auch ein gesunder Gemeinschaftsprozess entwickeln. Davon bin ich fest überzeugt.


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