„Ich bin nicht wichtig.“

Wer zusammen mit anderen im Miteinander ist, sei es bei der Arbeit oder in der Familie, im Freundeskreis, in einem Verein oder einer Wohnprojektgruppen sollte sich darüber bewusst sein, dass er oder sie sich in einem System befindet, das lebendig ist und sich daher permanent verändert. Alles Lebendige verändert sich ständig. Natürlich kann jeder und jede der Beteiligten diese Veränderung, dieses lebendige System, beeinflussen. Und nicht nur dass er oder sie es KANN, wir tun es auch. Alle Beteiligten, jeder Einzelne, jede Einzelne, ist als lebendiger Teil des Ganzen an allem beteiligt, was die Gruppe, das Team, der Kreis, die Abteilung ausmacht. Selbst wenn eine einzelne Person denkt, sie sei nicht wichtig, so heißt das nicht, dass sie keinen Einfluss hat. Es heißt nur, dass sie selbst ihrem Einfluss die Bedeutung entzieht. Und das wiederum hat Einfluss auf das Ganze, der darin besteht, dass ein Teil dieses Ganzen sich nicht so einbringt wie sie es täte, wenn sie sich darüber bewusst wäre, dass sie Einfluss hat. 

Einige Beispiele: Wer denkt „Ich bin nicht wichtig“ macht sich nicht die Mühe herauszufinden, worin der persönliche Beitrag zum Gelingen des Ganzen bestehen könnte. Er oder sie hält sich zurück und geht davon aus, dass es so am besten ist. Da wäre die Frage: am besten für wen? Es könnte auch sein, dass die Person nicht auffallen will und sich daher zurückhält und sich selbst erklärt, sie sei nicht wichtig. Da wäre die Frage: warum will sie nicht auffallen? Vielleicht ist Angst im Spiel. Da wäre die Frage: Angst wovor?

Wenn im Miteinander eine oder mehrere der beteiligten Personen sich für nicht wichtig halten, kann es für das System heißen, dass Nichtwichtigsein ein nicht bewusster aber lebendiger Aspekt der Gruppe ist. Solange die Gruppe das Phänomen NICHTWICHTIGSEIN nicht thematisiert und es einfach so laufen lässt, entzieht es, entziehen die Personen, die sich für nicht wichtig halten, dem Ganzen Energie, die für das Gelingen des gemeinsamen Vorhabens gebraucht wird. 

Das Phänomen, von dem ich hier spreche, stellt sich in Gruppen, die auf freiwilliger Teilnahme beruhen ganz anders dar als in Gruppen, an denen man teilnehmen MUSS, wie in Schulen oder im Beruf. Wer dabei sein muss, weil es zur Pflicht gehört, flieht manchmal in die Haltung des NICHTWICHTIGSEINS, um sich das Dabeisein so zu gestalten, dass es erträglich wird, dass man es überhaupt aushält. Es ist ein Phänomen der inneren Kündigung. Aber hier will ich das Augenmerk auf die freiwillige Teilnahme richten, also auf diejenigen, die sich aus freier Entscheidung einer Gruppe angeschlossen haben, sagen wir einer Wohnprojektgruppen. In diesen Gruppen habe ich das, was ich hier beschreibe, oft gesehen. Da sind Menschen, Männer oder Frauen, dabei, nur um dabei zu sein. Sie wollen zwar das Ergebnis, also eine Wohnung in einer schönen Nachbarschaft, aber sie halten sich selbst für den Weg und für alles, was dafür zu tun ist, damit das Vorhaben klappt, für nicht wichtig.

Ich habe lange Zeit gedacht, wenn ich das Verhalten einiger stiller Teilnehmer:innen gedeutet habe, sie wären nicht interessiert. Aber mittlerweile denke ich, dass das nicht stimmt.Sie sind sehr wohl interessiert, aber sie halten sich selbst für nicht wichtig, und daher halten sie sich mit ihrem Fähigkeiten und auch mit ihrer vollen Energie zurück. Sie bleiben unter ihren Möglichkeiten. Und das bedeutet für das Gesamte, also für die ganze Gruppe, dass ihr etwas vorenthalten wird. Und das wiederum beeinflusst die Atmosphäre im Sinne von: wir könnten mehr erreichen, wir haben mehr Möglichkeiten als wir nutzen, da fehlt etwas.

Ich halte es für wichtig, dass jede Gruppe, in der die Teilnehmenden freiwillig zusammenkommen, das Gefühl des NICHTWICHTIGSEINS anspricht und damit allen die Möglichkeit gibt, sich darüber klar zu werden, wie jeder und jede Einzelne damit umgeht und was es für das Gelingen des gemeinsamen Anliegens bedeutet, wenn Einzelne meinen, sie seien nicht wichtig.

Die Frage hinter dem Phänomen ist: Wer bestimmt, wer wichtig ist und wer nicht, beziehungsweise woran misst sich Wichtigsein? 




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