Was machst du mit deinem Wissen und Können? Annette (10)
* Annette, 66, Hürth-Efferen im Januar 2022.
Sehr interessante Frage. Global würde ich erst mal sagen, zu wenig. Absolut zu wenig. Ich wälze viel in meinem Kopf, was ich machen könnte und komme dann mangels Gegenüber oder mangels eines mir angenehmen Gegenübers zum gemeinsamen Denken und Ideen entwickeln, nicht wirklich weiter. Ich habe keine Fantasien, dass ich jetzt alleine Sachen machen möchte. Zum Beispiel die Idee, etwas zu schreiben. Das hatte ich früher mal, aber das ist mir irgendwie abhanden gekommen.
Einfach abstrakt Wissen festzuhalten oder Ideen schriftlich festzuhalten oder auch schriftlich kreativ zu sein, das ist mir sehr abhanden gekommen. Auch weil ich denke, es ist nicht so wichtig für mich wie ich einmal dachte. Und dieses Wissen, was ich habe, ist ja kein... ich habe ja nirgendwo ein Spezialwissen. Also etwas, wo ich sagen könnte, ich biete an Achtsamkeitstraining, oder ich biete an Yoga, so was habe ich alles nicht. Insofern geht es immer darum, dass ich mich anbiete in der speziellen Mischung. Und das ist schwierig, da die Kompetenzen rauszufiltern, also nach außen zu kehren, die für andere interessant sind. Also so zu filtern, was kann ich als Wissen weitergeben, was von anderen auch als Kompetenz verstanden wird.
Ich finde es interessant, dass du sofort denkst, Wissen sollte weitergegeben werden. Wollen wir mal schauen, worin dein Wissen und Können besteht?
Ja. Ich würde sagen es sind unendlich viele Erfahrungswerte im Umgang mit schwierigen Lebenssituationen der unterschiedlichsten Art. Im privaten Raum, in engsten Beziehungen, in Familie wie auch im öffentlichen Raum. Ein Teil davon sind reflektierte und gemeinschaftlich reflektierte Erfahrungsschätze im Rahmen des politischen Arbeitens, wo ich früher Zusammenhänge hatte, in denen ich sehr intensiv Analysen, Taktiken und Strategien gemeinschaftlich durchdacht habe.
Eine Kompetenz von mir ist, dass ich sehr beharrlich bin beim Verstehenwollen von Phänomenen, nicht nur gesellschaftspolitisch, sondern auch in der Natur. Alles, was mir über den Weg läuft und mein Interesse reizt vom Feuerkäfer: Wozu ist der da? Was macht der eigentlich? Bis hin zu gesellschaftlichen Phänomenen, naturwissenschaftlichen und künstlerischen. Ich bin sehr wissbegierig und versuche zu verstehen und gebe mich nicht schnell mit einfachen Erklärungen zufrieden. Das ist eine Grundeigenschaft.
Meist fange ich etwas in meinem eigenen Kopf damit an, dass ich einfach nur denke. Das war als Kind schon so, und mein Opa sagte: Dat Kind spintisiert so viel. Also in der Ecke sitzen und nachdenken und sehr schnell auf alle möglichen vernetzten Bereiche kommen. Ich kann eigentlich nicht an den Tellerrändern haltmachen. Ich bin die Überschreiterin der Tellerränder. Was in der Phase, in der ich berufstätig aktiv war, nicht gewünscht war. In einer anderen Phase wäre das eine hochgeschätzte Eigenschaft gewesen. Ich war auch immer netzwerken, aber das war nicht gewünscht, da musste ich mich beschränken. Aber das ist was, was ich gar nicht abstellen kann. Das ist bei mir wie so eine Denkkette, die ich gar nicht abstellen kann, in der ich mich allerdings auch verlieren kann. Die Frage ist, wie sammle ich das alles wieder ein und bündele es. Bündeln, konzentrieren, beschränken fällt mir nicht so leicht.
Das ist ja das Thema, wie Information, die neu dazukommt, mit dem, was an Wissen schon da ist, zusammenfließen.
Ja. Es ist wirklich so, dass ich furchtbar viele Sachen furchtbar interessant finde. Ich bin ja auch experimentell ausgerichtet, wie zum Beispiel dass ich mich für neue noch nicht gehörte und gesehene Kunst interessiere, nicht nur für Klassiker. Das ist wie Futter, was ich brauche, wie irgendwelche Keime in irgendwelchen Nährlösungen, dann ist das meine Nährlösung, die ich brauche.
Gestern war ich zum Beispiel in einem Film und der beschäftigt mich so und ich habe so viele Interpretationen im Kopf. Manchmal kann ich dann auch schlecht schlafen, weil ich einfach zu viel spintisieren muss über das, was ich gerade gesehen, gelesen oder erlebt habe.
Wenn ich dir so zuhöre fällt mir der Begriff Forscherin ein.
Ja. Mein ganz ungefilterter Berufswunsch, der mir aber sofort bei einer Abiturientinnenberatung ausgetrieben wurde, war Journalistin. Das wäre es gewesen. Recherchieren mache ich wahnsinnig gern. Auch gezielt und dass ich sofort weiß, ich habe so eine Mappe wo ich das reintun kann. Ich lege mir alles sofort an und weiß dann, dieses Argument kann ich hier brauchen, also nicht so ordentlich aber ich sammle. Und dann natürlich etwas damit machen, das heißt für mich Schlussfolgerungen ziehen. Gedanklich schreibe ich ganz viele Leserinnenbriefe. Gedanklich bin ich immer im Dialog, wenn ich die Zeitung lese, mit dem Bürgermeister oder sonst wem. Aber es passiert nicht immer so, denn es ist ja auch die Frage: Was willst du? Wer bist du? Dann kommt die soziale Einschätzung: Wer bist du eigentlich, was hast du für eine Funktion, wer fragt nach dir? Vom Job her wäre es das gewesen.
Was ich auch wirklich gut kann, ist Leute ansprechen. Das habe ich jetzt für die Grannies For Future gemacht, da habe ich jemanden vom Waldlabor angerufen, um zu gucken ob man eine Führung hinkriegt. Hallo, Sie kennen mich nicht, ich habe ein Anliegen... einfach so jemanden ansprechen oder wie letztens diese Pfarrerin. Diesen Mut zu haben und mich nicht zu genieren, dass mir etwas peinlich ist, das kann ich recht gut. Auch auf der Straße. Ich war perfekt, um Flugblätter zu verteilen, sehr effektiv, weil ich Leute gut ansprechen kann, wenn ich überzeugt bin. Das wäre eine Kompetenz, ich bin mutig, mich etwas zu trauen und auch zu scheitern. Ich habe wenig Angst vor Peinlichkeiten.
Was Ansprache angeht, nicht mit Schreiben. Was Schreiben angeht habe ich Hemmungen, das ist mir antrainiert, sage ich mal. Früher habe ich mehr geschrieben und manchmal habe ich auch wirklich gute Sachen geschrieben, politisch zum Beispiel, dass ich mich wundere, dass ich sowas aufs Papier gekriegt habe. Aber ich brauche dazu einen Anlass, eine Entscheidung, etwas zu bündeln, einen Adressaten, nicht einfach so Tagebuch. Ich habe mich eine Zeitlang aufs Haikuschreiben konzentriert. Weil das so schön zum Konzentrieren und Bündeln zwingt.
Zum Schluss noch eine Frage. Hast du Träume für die Zukunft?
Ich habe Träume für die Zukunft, dass ich sehr viele belastende Erfahrungen, die ich machen musste, insbesondere im Zusammenhang mit Gruppen, welcher Art auch immer, sei es Arbeit, sei es Familie, sei es sonst was, dass ich die wirklich sein lassen kann und immer wieder quasi unbelastet neu einsteige in Kontakte, auch in Gruppen. Das mache ich im Prinzip auch, aber es ist immer so ein Rest Horror da, dass es wieder in die Richtung gehen könnte. Das wäre schon mal ziemlich viel, und dass ich dann auch nicht so gebremst bin, wie ich gerade zurzeit bin bei den Initiativen, zum Beispiel Gruppen, Gemeinschaften, Beziehungen betreffend. Da habe ich eine vorsichtige Haltung.
Aufgrund von Erfahrungen, die nicht so gut gelaufen sind.
Ja. Speziell mit Gruppen, wo ich sehr viel Lebensenergie und Freude und Engagement reingegeben habe und dann rausgemobbt wurde von Einzelnen, und denen hat keiner etwas entgegengesetzt.
Ich denke, dass das, was meine Fähigkeiten sind, dass ich daraus etwas gestalten und schaffen kann.
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