Was steckt hinter der Frage "Was machst du mit deinem Wissen und Können?"

Seit 2017 bin ich in der Melanchthon-Akademie in Köln zusammen mit einer Kollegin für die Workshops zuständig, die ein Mal im Jahr für Menschen angeboten werden, die ihr Leben nach der Berufstätigkeit gestalten und sich freiwillig engagieren wollen. Das Programm geht über sechs Tage in Blöcken von je zwei bzw. einem Tag, und zum Abschluss erhalten die Teilnehmenden ein Zertifikat. Sie sind dann Seniortrainer/Seniortrainerin. Der Begriff wurde vor ungefähr zwanzig Jahren für dieses Bildungsprogramm geschaffen, das damals bundesweit aufgelegt wurde im Hinblick auf den demographischen Wandel und mit der Idee, dass nach der Berufstätigkeit noch eine lange Lebensphase kommt, die gestaltet und ausgefüllt werden will, nicht nur privat, sondern auch mit einem aktiven Weltbezug. 

Das Bildungsprogramm heißt Erfahrungswissen für Initiativen, abgekürzt EFI und wird in Köln an der Melanchthon-Akademie durchgeführt und von der Stadt Köln gefördert. Als eine der beiden Dozentinnen, die für das Design und die Durchführung der Workshops zuständig sind, kam mir vor einigen Monaten diese Frage in den Sinn: Was machst du mit deinem Wissen und Können? 

In der Vorbereitung eines anstehenden EFI-Workshops suchte ich einen Impuls für ein Kreisgespräch, und plötzlich war die Formulierung dieser Frage da. Im Nachhinein kann ich mich nicht mehr an den Verlauf dieses Kreisgesprächs erinnern, aber ich kann mich an die Energie erinnern, die die Frage auslöste. Sie löste Erstaunen aus, auch Freude, auch Erschrecken. Ich hatte mit der Frage etwas angerührt und in Bewegung gebracht, was mich selbst überraschte. 

Im November 2021 habe ich dann begonnen, die Frage in privaten Zusammenhängen zu stellen. An Menschen, die über 65 sind. Auch dort löste sie emotionale Reaktionen aus. Offensichtlich haben wir Alten kein bewusstes Verhältnis zu unserem Wissens und Können. Wir denken nicht darüber nach. Es ist einfach vorhanden. Aber wo ist es? 

Wo ist unser Wissen und Können hin, wenn wir nur noch Privatleben leben? Haben wir es archiviert? Holen wir es manchmal hervor? Wenn ja, wozu? Oder hat es sich verloren? Haben wir es im Lauf der Zeit vergessen? Oder halten wir es versteckt? Haben wir es vergraben? Und das Wichtigste: Was ist mit unserer Identität, die wir über unser Wissen und Können gebildet haben, wenn Wissen und Können keine Rolle mehr in unserem Leben und unserem Weltbezug spielen? Wenn es zwar da ist, aber weder Interesse noch Anerkennung erfährt. 

Überhaupt: Wie konnte es soweit kommen, dass wir Alten einfach so unsere Expertisen abgeben und dabei mitspielen, wenn es um das Image alter Menschen geht, die gerne als Mangelwesen dargestellt werden

Im Dezember 2021 habe ich angefangen, die Frage allen zu stellen, die mitmachen wollen und über 65 sind. Ich nehme ihre Antworten auf, transkribiere sie und veröffentliche die Texte in diesem Blog. Als Stimmen, die ihre individuelle Gemengelage beschreiben, was Wissen und Können und den Umgang damit angeht.

Bei mir hat die Frage jedenfalls zum Äußersten geführt. Das Äußerste, zu dem es kommen kann, wenn man nicht mehr im System ist. Das ist der Selbstauftrag. Ich habe mein Wissen und Können wieder aus der Mottenkiste geholt und mir den Auftrag gegeben, mich mit dieser Frage nach dem Umgang mit Wissen und Können im Alter auf den Weg zu machen. 

Mal sehen was passiert, wenn Licht auf die Kompetenzen und Expertisen von Menschen über 65 fällt und darauf, wie sie damit umgehen, was sie damit machen, ob sie überhaupt etwas damit machen und wie sie sich dabei fühlen. Ich bin gespannt.

Es ist ja auch interessant zu fragen, ob es so etwas wie eine Verantwortung gibt, etwas mit dem eigenen persönlichen und individuellen Wissen und Können machen zu sollen oder zu müssen. 

Und was es für die Gesellschaft bedeutet, wenn alles, was Menschen über 65 draufhaben, einfach so im Privatisieren zwischen Fernseher, Esstisch und Garten, zwischen Enkelkindern und Essen-mit Freund:innen, zwischen Kreuzfahrt und Marmeladekochen verschwindet. 

Und was es für jede und jeden Einzelnen bedeutet, wenn seine/ihre Talente und Fähigkeiten, seine/ihre Kompetenzen und Expertisen nicht mehr abgerufen werden. Wenn keine Anfragen mehr kommen. Wenn massenweise Wissen und Können brach liegen, nur weil es keine angemessenen gesellschaftlich/sozialen  Strukturen gibt, in die es einfließen, über die es sich verteilen kann und durch die es verwertet und genutzt werden kann. 






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