Was machst du mit deinem Wissen und Können? Georg (12)

* Georg, 73, Köln im Februar 2022.


Ich habe irgendwie eine Menge gelernt und habe mich auch immer für viele Sachen interessiert und habe ja über mein Theologiestudium einen ganzen Kosmos von Dingen lernen müssen, wo andere Leute nie auf die Idee kommen, dass man das lernen muss und kann. Wohlwissend, dass es „nutzloses“ Wissen ist oder für die zweite Reihe. Erst sehr viel später hat sich mir erschlossen, was daran nützlich sein könnte. Damals als Student habe ich sehr entfremdet - mir war zwischenzeitlich der Glaube verloren gegangen - doch zwei, drei Jahre am Schreibtisch gesessen, um den ganzen Kram mit der Prüfung und so was alles hinzukriegen. 

Was ich jetzt mit meinem Wissen mache? Da ich nicht mehr hinter den Brötchen herjagen muss, was meines Erachtens auch eine sehr starke Einschränkung der  Verfügbarkeit von Wissen ist, merke ich, dass sich biografische Kreise schließen und auf einmal habe ich ganz neue Zugänge. 

Navid Kermani hat, zum Beispiel, ein neues Buch über Religionen geschrieben mit einem ganz anderen Zugang. Er erklärt seiner Tochter, was es mit Religionen auf sich hat, mit einem modernen allgemeineren Religionsverständnis. Solche Geschichten interessieren mich und insofern ist das auch schon eine Verarbeitung von Wissen. Ich habe bestimmte Hypothesen im Rückblick auf mein Leben und auf unser gesellschaftliches Leben und dann erschließt sich das eigentlich immer wieder neu. Wie so Zwiebelschalen aktiviert es Wissen. Man kann auch Bewusstseinsentwicklung sagen. Und so verwende ich das. Das ist ein anderer Begriff als eine Vorstellung von Wissensbeständen, die in Büchern fixiert sind, und da sind sie drin. 


Wie verwendest du dein Wissen?

Naja durch Interesse. Und mit Interesse verbinde ich auch eine Erweiterung meines Weltverhältnisses. Diesen Begriff habe ich von Hartmut Rosa. Da sind auch viele politische Aspekte drin, das ist eine politische Orientierung, die man sich machen muss. Ich finde, da sind wir als Demokraten gefordert, das zu tun. Dass ich das tun kann in der komfortablen Situation als Rentner, das genieße ich sehr. 

Die Verwendung von Wissen im Brötchenerwerbsmodus, wie ich die berufliche Phase gerne nenne, sieht für mich inzwischen sehr stark so aus, dass da instrumentelle Dinge wichtig sind. Diese Wissensbestände in beruflichen Zusammenhängen, was da angesammelt wird, da würde ich sagen, dass das eher nur potentielle Informationsverfügbarkeit ist. Aber Wissen ist für mich eigentlich mehr etwas, was sozusagen eine aktive Brille eines Weltverhältnisses ist. 


Was tust du mit deinem Wissen? Tun im Sinne von machen.

Naja, ich betrachte, wenn ich darüber rede, sich weiterzubilden, dies durchaus als ein Tun. Was gemeinhin eher als Tun, als Umsetzen, sichtbar ist, da male ich Transparente zum Hochhalten, und auf den Transparenten steht etwas drauf. Und dann sind wir wieder bei dem Weltverhältnis. In dem engeren Sinne von Tun, ja klar, politisches Engagement. Das kann man unendlich machen oder in Maßen, die man vertreten oder bewältigen kann. Ich versuche da für mich ein Maß zu finden neben den anderen Dingen, die man sowieso erledigen muss.


Willst du erzählen, was auf diesen Transparenten draufsteht?

Also, ich fand es sehr schön, ich habe es nicht gemalt, aber ich habe mich darunter sehr wohl gefühlt, seit jetzt drei Jahren, darauf steht "Grannies For Future“ und "Wir sind empört, weil man unsere Enkel nicht hört." Ich fand das jetzt mal als mein aktuell politisches Weltverhältnis sehr gut, sehr ausdrucksstark, sehr wunderbar. In der Phase dieses Impulses dieser ganzen Umweltbewegung. Inzwischen finde ich, dass sich die Verhältnisse weiterentwickelt haben und dass es nicht mehr passt. Da muss etwas Neues hin. Und das Neue ist gespeist aus der Frage: Welche politischen Bedingungen haben wir denn jetzt und was kann mein Beitrag als alter Mensch sein? Dafür einen entsprechenden Ausdruck zu finden, das ist viel Tun. Das ist viel Arbeit, das ist viel kreative Arbeit, Auseinandersetzungsarbeit. Und wenn da etwas bei rauskommt, was ich  gut und akzeptabel finde, dann ist das ein echtes Werk, was vollbracht ist.


Wenn ich das richtig sehe, bist du da im Austausch mit anderen, die sich auch unter dieses Transparent stellen.

Ja. Und auch mit dem Rest der Welt. Weil ich halte das ja hoch und gehe mal davon aus, das sieht jeder. Zumindest wenn es vielleicht in irgendeinem Medium erscheint und dadurch für viele sichtbar ist.


Ich versuche mal eine Interpretation. Würde es für dich passen zu sagen,  ich bin mit der Welt in einem permanenten Austausch?

Ja. Soweit sie mir zugänglich ist. Das ist ja sehr beschränkt.


Wie wird sie dir zugänglich?

Naja, durch eigene Erfahrung, durch eigene körperliche Erfahrung und natürlich auch medial, auch Berichte, also verbal würde ich sagen. Eigene körperliche Erfahrung ist ganz einfach. Ich gehe einkaufen und begebe mich in ein Verkehrschaos und mir fährt einer über den Fuß. Das ist ein Weltverhältnis. Denn wieso fährt der mir über den Fuß? Warum haben wir solche Verkehrsverhältnisse? Warum haben wir solche autobetonten Verhältnisse und warum nicht eher humane Verhältnisse, wie ich das nennen würde. Dann, wenn man das kleinschrittig weiterdenkt, geht eine ganze Welt auf. Historisch, Fortschritt, Kolonialismus, was weiß ich nicht alles. Hängt ja alles zusammen. Insofern kann man schon aus seinen  eigenen Lebensbezügen und durchaus körperlichen Erfahrungen Linien ziehen, die die Welt umspannen. Passiert ja auch immer, nur macht man sich das nicht so bewusst. Das läuft sozusagen unterschwellig. Und das andere Weltverhältnis sind die Informationen, die man kriegt. Ich schaue regelmäßig Nachrichten und ärgere mich darüber, wie eingeschränkt die sind, ich lese verschiedene Zeitungen.


Ich habe noch eine Frage, wenn es ums Können geht. Gibt es etwas, was du besonders gut kannst? Und praktizierst du es auch?

Ich glaube ich bin ziemlich gut in kreativen und verrückten Ideen. 


Wir kennen uns ja ein bisschen und mich wundert, dass du hier nicht sagst, dass du gut kochen kannst.

Kochen hat für mich auch diesen Aspekt. In Serie zu kochen habe ich keine Lust. Wenn, dann überlege ich an der Stelle, wie könnte es gehen, und schon sind wir wieder bei der Frage der kreativen Problemlösung und des Nachschmeckens von Einzelaspekten oder irgendsowas. 

Du hast jetzt durch die Frage meine Erinnerung angerissen. Ich habe mal, das ist schon mehr als dreißig Jahre her, da habe ich mir mal selbst ein paar Coachingstunden genommen, bei einem Kollegen damals, und der sagte dann: Sagen Sie mal, was ist denn eigentlich ihr Lebensthema? Und dann sagte ich: Ich habe gemerkt, auch im beruflichen Zusammenhang, immer wieder taucht die Frage auf wo es bei mir so ein bisschen kribbelt, das ist wenn ein Moment der Erleuchtung kommt, ein Moment des Aha!. Wenn der kommt, da zieht es mich hin.

Während meiner ersten beruflichen Schritte, wo ich auch Leiter eines Kulturzentrums war, da habe ich beim Landesinstitut für Schule und Weiterbildung in einer Arbeitsgruppe gearbeitet, wo wir Kreativtechniken erforscht und adaptiert haben, und so habe ich mir ein tieferes Verständnis des kreativen Prozesses draufgeschafft, und das spielt für mich immer noch eine Rolle. Jetzt kommen wir zu der Frage der Anwendung. Dass ich individuell damit rumhantiere, das kann ja mein inneres Privatvergnügen sein, richtig fruchtbar wird es erst dann, wenn man so etwas als Gruppe machen kann. Es sind im Grunde banale Techniken, man braucht nur ein gewisses Grundverständnis worum es dabei geht. Und so etwas in Gruppen zu machen ist sehr voraussetzungsreich, weil man die Methodik bewusst handhaben muss. 


Übst du das denn aus? Bietest du dieses Fähigkeiten von dir in Gruppen an?

Nein, nicht mehr, ich habe das unter anderem zu beruflichen Zeiten gemacht. Die Schwierigkeit des Anwendens von Wissen, ich gehe jetzt auf die aktuelle Situation ein, ich nehme mal das Beispiel mit dem Transparent, als Grannies versuchen wir ja, uns politisch zu verorten, und da ist ja die Frage wie tut man das. Da kam schonmal der Gedanke auf, ich hatte das gar nicht so im Kopf, aber meine Frau kam drauf und meinte, da könnten wir doch mal versuchen, so eine Technik anzuwenden und dann etwas entwickeln. Und da sagte ich: Von mir aus gerne. Aber das ist etwas anderes als zu sagen: Jetzt holen wir mal eine Flasche Rotwein raus und jeder erzählt mal. Sich auf strukturierte kollektive Arbeit einzulassen, da gibt es Barrieren. Ich will sagen: Wissen und Anwendung, Wissen und Handeln trifft auf Barrieren, wenn man das kollektiv denkt. Dann wird es natürlich wieder interessant, wie sehen die Weltverhältnisse aus und wie sehen die Beziehungsverhältnisse im Kollektiven aus? Und dann wird es hochpolitisch.


Ich würde jetzt gerne noch eine allerletzte Frage stellen. Hast du Träume für die Zukunft? 

Naja klar. Gesundheit oder weitgehende Gesundheit, das finde ich relativ logisch, dass man sich wünscht, dass es einem gutgeht. Wenn ich träume, dann träume ich in der Hoffnung, dass uns die Erde nicht um die Ohren fliegt. Also mein ganz langer Traum, meine Hoffnung und meine Vision ist, dass wir rationaler und bewusster mit unserer Welt und der Natur und uns umgehen. Damit meine ich die Situation, die wir als die Klimakrise kennen, erfordert ein ganz anderes Herangehen. Da denke ich an ein Büchlein von Maja Göpel "Die Welt neu denken". Die Eckpunkte, die sie nennt, finde ich extrem wichtig und ich hoffe, dass das klappt und dazu will ich meinen Teil beitragen. Indem ich Fähnchen hochhalte aber auch indem ich mich manchmal sozusagen ideologiekritisch im Sinne von Dekonstruktion, und jetzt schließe ich mal den Kreis zum Anfang unseres Gesprächs, indem wir unsere begrifflichen Mystifizierungen mit denen wir unseren Alltag und unser Leben sozusagen konstruieren, indem wir aus diesen mystischen Konstruktionen die Luft rauslassen und vielmehr gemeinsam gucken, was steht denn wirklich dahinter.




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