Was machst du mit deinem Wissen und Können? UR (13)

* UR, 80, Brühl im Februar 2022.  


Du stellst die Frage ja allen über 65. Das ist eine Schwelle, da tritt man gemeinhin in die Rente ein, das Berufsleben ist vorbei. Bei mir war das ein ganz anderer Zustand als heute. Ich bin in Altersteilzeit gegangen und hatte noch Nachholbedarf in einiger Hinsicht. Weil ich während meiner Zeit beim Radio nicht alles realisieren konnte, was mir so vorschwebte. 

Mein Auto kannte z.B. die Strecke zum Alter Markt, weil das die gleiche wie zum WDR war. Da fand ich es eine gute Idee, den angebotenen Vorsitz zu übernehmen im nahegelegenen Beginenfenster. Mich hat die Gruppe der vorwiegend älteren Frauen interessiert, die voller Tatendrang waren und nach einem gemeinsamen Wohnprojekt suchten. Ein toller Treffpunkt, um sich auszutauschen, sonntags gemeinsam zu frühstücken und nachmittags Frauen aus Kultur und Politik zum Gespräch einzuladen. Das hat mir Spass gemacht und ich kann sowas ganz gut.


Willst du mal kurz in Stichworten sagen woraus dein Können und Wissen besteht?

Ja, schon ablesbar an dem, was ich gemacht habe anderthalb Jahre lang. Ich kann Menschen ansprechen, organisieren und Ideen umsetzen. Kann andere Menschen begeistern, wenn ich selbst begeistert bin. Das ist  eingeübtes Können und ein Wissen, das ich mir in meiner Zeit als Redakteurin und vorher schon beim Theater – ich war zuständig für Öffentlichkeitsarbeit -  erarbeitet hatte.Ausserdem bin ich eine Lebenslang-Lernerin, habe allerlei Ausbildungen hinter mir, habe Seminare besucht und Workshops. Das hat  nicht aufgehört. Gerade habe ich mich im Alanus Werkhaus in Alfter angemeldet für ein Seminar zur Land-Art  und bei der Thomas-Morus-Akademie in Bensberg für eine Tagung, bei der es um die  westfälische Dichterin Annette Droste-Hülshoff geht. Kann sein, daß daraus noch Lesungen entstehen –  ich gebe sowas gern weiter. 


Wohin gibst du es weiter?

Kann sein an Freundinnen beim Teetrinken oder ein anderes weibliches Publikum, das sich, wie ich, für Dichterinnen interessiert. Aber meine jetzige Situation ist nicht mehr von dem ewigen Tatendrang und Projektemachen bestimmt. Das war früher anders. Mein wichtigstes Projekt aus der Nachradiozeit war das Schreiben eines Buches, das in mir steckte. Ich hatte nie richtig Zeit fürs Schreiben, höchstens für nächtliche Gedichte und Tagebucheintragungen. Das erste grössere Projekt in meiner Zeit beim WDR war das Feature "Himmelskind Kriegskind“. Das konnte ich schreiben, weil ich mir den Fuß gebrochen hatte und dann war ich wie erlöst, als es im NDR gelaufen war. Daraus ergab sich der nächste Schritt nach der Pensionierung. Das unbekannte Land in mir, das Land meiner Eltern und der verstorbenen Schwester, denn sie war das Himmelskind und ich das Kriegskind. Das Suchen nach meinen Eltern, als sie jung und glücklich waren. Ich musste nach Polen fahren, nach Thüringen und Mecklenburg … fast drei Jahre lang war ich immer wieder unterwegs, um mir die verwunschenen Orte anzuschauen und in die Archive zu gehen. 


Mit welcher Idee?

Das Buch zu schreiben. Das mit dem Foto meiner Mutter vor der Ostsee und dem meines Vaters in Berlin auf der Rückseite. Es ist  2013 erschienen im Verlag Ralf Liebe/ Weilerswist . "Bloß nicht auf Sand bauen" - ein  Spruch meines Opas als Vermächtnis, der mir im Traum erschienen war auf Rügen. Das Layout zu machen, mit dem Verleger vor dem Bildschirm zu sitzen, mit den Fotos aus den Alben meiner Mutter und anschliessend noch ein Hörbuch zu produzieren. Nach der Veröffentlichung habe ich eine Lesetournee gemacht, da war ich nochmal im Osten, in den neuen Bundesländern. Auch das sollte erzählt werden, also entstanden kleine schwarze Hefte mit Skizzen und Texten. Sogar in Südafrika war ich, bei meiner ältesten Verwandten, die in Pretoria lebte mit über 90 Jahren, eine Handweberin, die in der pommerschen Familie eine wichtige Funktion hatte. Das könnte ich heute schon wegen der ganzen Rumfahrerei nicht mehr machen. 


Was ich interessant finde ist die Unterscheidung auf die du hinweist, dass die ersten Jahre nach der Pensionierung energetisch gesehen ganz anders aufgeladen sind als dann später, wie jetzt mit 80. Ich möchte mal provokativ nachfragen. Man könnte ja sagen, mit 80 oder 81 gehst du noch in Workshops und Seminare, investierst Zeit und Geld um noch dazuzulernen. Wozu?

Oh, das macht mir einen Riesenspaß. So wie jetzt die Wiederentdeckung der Droste-Hülshoff. Dichterinnen inspirieren mich. Und das Umsetzen in Worte und Töne ergibt sich. Ich lese gern vor oder rezitiere. So hole ich mir meine wechselnden Gemeinschaften und Begegnungen  –  und das ist auch notwendig, wenn man weitgehend allein lebt.  


Also hast du neben dem Impuls zu lernen auch noch einen sozialen Impuls.

Ja, das ist einfach wunderbar, du erfährst dich selber neu im Kontakt mit anderen. Ich habe ja auch eine Psychodrama-Ausbildung gemacht. Da habe ich zum Beispiel gelernt, mich mit Männern, die ich auf den ersten Blick unsympathisch fand, nicht nur abzufinden, sondern sie auch zu verstehen.

Du sprichst von dem Energetischen, und Energie sitzt ja in einem selbst, ist aber manchmal tief verbuddelt. Die Auseinandersetzung und Begegnung, auch die durch Kunst und Bücher angeregte, bringt mich zur Selbstbefragung ... mir kam eben der Begriff  der Innenschau. Ich finde so eine Innenschau, die gut zum Alter passt, wichtig. Die setzt allerdings das Alleinsein, die zu Unrecht so oft beklagte Einsamkeit, voraus. Natürlich brauche ich auch Impulse. Meine Wahrnehmung wird präziser und das kann mühsam sein, weil ich mir selber gegenüber immer kritischer werde. Ich möchte auch niemanden verletzen, denn ich neige zu Meinungen. Finde ich auch in Ordnung. Statt Zurückhaltung mehr Spontaneität und nicht hinterm Berg damit zu halten. Da bekomme ich so einiges zu hören, mit dem ich mich auseinandersetzen muss. Das gehört eben dazu. Und es dient meiner Vervollkommnung. 


Würdest du sagen, du bist ehrgeizig?

Ich bin relativ diszipliniert wenn ich etwas zu Ende bringen muss, wie diesen Beitrag für das Buch, das die Salzburger Feministinnen herausgegeben haben, auf jeden Fall.  "Kämpferinnen" enthält zwölf Porträts von frauenbewegten Frauen. Ich habe mir da viele Gedanken über mein berufliches Leben gemacht. Stimmt, ich habe auch gekämpft, aber ist kämpfen Ehrgeiz? Das würde ich in Frage stellen. Wenn mir etwas wichtig war, habe ich darüber nachgedacht.  Aber die ewigen  Projekte, das will und kann ich nicht mehr. Ich backe inzwischen auch kleine kreative Brötchen. Vorausgesetzt, ich habe Spass daran. 


Die Lebensphase, die wir Alter nennen, wird ja immer länger und der Anteil der Bevölkerung, die in dieser Phase lebt, wird immer größer. Damit wird auch die Frage nach dem Umgang mit dem eigenen Wissen und Können immer relevanter. Meinst du nicht, dass es gesellschaftlich öffentliche Strukturen bräuchte, wo dieses Wissen und Können einfließen könnte.

Schön, dass du das noch fragst. Es gibt ja vielerlei für Senioren und Seniorinnen. Dennoch äußert sich das oft so, dass auf der Straße oder im Café zu zweit oder zu dritt unter Frauen  geredet wird. Und diejenigen, die sich das nicht erlauben können mit dem Café und dem Cappuccino, die bleiben in ihren vier Wänden. Da wäre ich sofort dabei, die Kaffeemaschine anzuwerfen in überparteilichen, überkonfessionellen, nicht kommerziellen Treffpunkten. Und dann abzuwarten, ob auch die älteren Frauen kommen, die so einiges zu erzählen haben. Was daraus wird oder ob das schon ein Wert an sich wäre – das wird sich zeigen. Nur sollte es nicht auf Leistung getrimmt sein. Denn auch unter vermeintlichem Nichtkönnen verbirgt sich eine Menge Erfahrung.


Mit Strukturen meine ich Möglichkeiten, in denen wir Alten mit unserem Wissen, Können und unseren Erfahrungen nicht als Personen, die beschäftigt werden müssen und nicht als Mangelwesen wahrgenommen werden. Unsere Potenzen und Kompetenzen hören ja nicht auf, nur weil wir nicht mehr berufstätig sind.

Ich stimme dir absolut zu. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht reduziert werden auf ein Mangelwesen, als das wir nicht geboren wurden. Ältere Frauen, ihre Sorgearbeit und ihr scheinbar unproduktives Zuhören stehen bereit – sie backen auch Kuchen und Brötchen oder twittern. Ich habe zwei Freundinnen, die eine ist 93 und die andere 85 Jahre alt und die sind in verschiedenen Frauenzusammenhängen engagiert und bedienen auch die modernen Kommunikationsmedien. Wir schätzen uns sehr und haben uns eine Menge zu sagen.

Dann habe ich noch zwei jüngere Freundinnen, so um die 50, die vertreten nicht unbedingt politische Meinungen, vielmehr sind beide sehr sozial und denken an alle Geburtstage, haben Patenkinder und schenken gern was. Aber irgendwann musste ich sagen:  Das liebste Geschenk von euch ist mir das Miteinanderreden. Oder mir einen Link zu mailen, mit dem ich was anfangen kann.


Eine letzte Frage noch. Hast du Träume für die Zukunft?

Ich habe Träume in der Nacht. Tagträume für die Zukunft habe ich mir abgewöhnt. Wir kennen uns ja auch etwas Lisa, z.B. haben wir vor ein paar Jahren zusammen über ein Beginenwohnprojekt diskutiert - das war nicht uninteressant, aber ich habe gemerkt: ich will es nicht mehr, es kostet mich zu viel von meiner Alterszeit. Das hier ist mein Wohnsitz, und der ist durch meinen Sohn, der oft hierher kommt und durch meine Katze und Freunde und Freundinnen und den ziemlich grossen Garten geprägt. Macht alles viel Arbeit und ob ich das ewig so weitermachen kann, weiß ich nicht. Pläne oder Träume für die Zukunft würden mich wohl eher wegreissen von meinen Christrosen und Schwertlilien und den Salatköppen.

Ich  kann auch ganz gut Löcher in die Luft gucken  Danach kommen die Dinge wieder auf mich zu. Und das Leben geht weiter, bis zum Sterben.




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