Wie gehst du mit deinem Wissen und Können um? Marlies (17)
* Marlies, 66, Moers im März 2022.
Mein Wissen und Können, das, was ich mir angeeignet habe, vor allem auch beruflich, hat für mich im Moment wenig Wert. Es ist wichtig für das, was ich daraus jetzt entwickle. Aber das eigentliche Wissen würde ich so gar nicht mehr weitergeben wollen. Ich habe ja als Sozialpädagogin gearbeitet, mit Jugendlichen in der Berufsvorbereitung. Und damals ist mir schon klar gewesen, dass das, was wir machen, nicht reicht für das, was die Jugendlichen brauchen. Ich bin letztendlich an dieser Arbeit in den Burnout gegangen. Weil dieser Widerspruch in mir viel zu groß war, denn ich habe immer mehr versucht darein zu geben und habe das gar nicht geschafft, was ich da machen wollte. Ich habe immer schon das Thema berufliche Orientierung gehabt. Was muss das sein? Wie muss das gehen? Da fehlt etwas in dem was wir an Methoden haben.
Ich habe ja auch eine therapeutische Ausbildung gemacht und hatte die Hoffnung, dass ich daraus Elemente in meine Arbeit einbringen kann, aber das war gar nicht gefragt. Dieses Wissen, was ich wichtig fand, ist da, wo ich gearbeitet habe, nicht nachgefragt worden. In der Einzelberatung konnte ich es einbringen, aber im Gesamtsystem war das nicht gewünscht.
Mit 57 hatte ich die Trennung und die Auflösung meiner Kleinfamilie. Und dann bin ich nach und nach aus dem Arbeitsleben ausgestiegen. Mit 63 bin ich dann vorzeitig in Rente gegangen. Ich war in keiner Weise vorbereitet auf dieses Rentendasein. Ich musste mich ganz neu positionieren. Da ich eine späte Mutter bin, habe ich auch diese Phase der Ablösung, die andere Mütter früher haben, erst sehr spät gehabt. Und dann zeitgleich aus dem Beruf auszusteigen, das war schon eine harte Nummer. Und da ging es dann eben verstärkt darum zu gucken, wo geht es jetzt hin mit all dem, was ich mitbringe. Das hat mich zu neuen Wegen geführt.
Kannst du etwas genauer sagen was dich zu neuen Wegen geführt hat?
Das, was ich eigentlich schon immer intuitiv wusste, nämlich dass die Art wie wir leben nicht alles sein kann. Dass dies nicht das ganze Leben ist, sondern dass viele Elemente des lebendigen Lebens fehlen. Ich bin ja schon früh auf die Suche gegangen und habe mich gefragt: Was ist denn wirkliches Menschsein? Das kann ja nicht alles sein! Ich habe eher gedacht, der Mensch an sich ist gut, obwohl ich von meiner Herkunft und aufgrund dessen, was ich als Kind erlebt habe, eigentlich nicht dafür prädestiniert gewesen bin, an das Gute im Menschen zu glauben, denn ich habe nicht viel Gutes erlebt als Kind.
Ich verstehe dich so, dass du immer schon eine Suchende bist, weil du diese tiefergehenden Fragen in dir hast. Würdest du sagen, dass sich jetzt, wo du älter geworden bist, diese Fragen verstärkt haben?
Ja. Meine Suche ist klarer noch auf individuelle Entwicklung gerichtet.
Und auch auf gesellschaftliche, ich bin ja auch Sozialwissenschaftlerin. Ich habe immer zwei Seiten gehabt, die Psychologie, die Individualität, die individuelle Psychologie und immer auch das Gesellschaftliche. Diese beiden Seiten habe ich beruflich nicht wirklich zusammenbekommen. Das Individuum, die Gemeinschaft, die Gesellschaft, das sind diese drei Punkte und die habe ich auf unterschiedlichen Wegen bearbeitet, aber nicht als ganzes System. Ich habe beruflich nicht das gefunden, wo diese drei Dinge zusammengekommen sind.
Und wie ist es denn jetzt, hast du sie jetzt zusammen?
Ja. Durch das Psychotrauma-Konzept von Franz Ruppert.
Er trennt eben nicht, sondern er sieht die menschliche Psyche als ganzes System. Der Mensch ist ein Gesamtsystem und alles, was ihm passiert, ist psychisch in uns verankert, in jeder Zelle. Und das belegt er theoretisch und durch die praktische Arbeit. Das Konzept hat mich von Anfang an überzeugt. Die Theorie, das Gebäude, das ist einleuchtend. Er hat es geschafft das zusammenzubringen. Er ordnet auch jetzt Corona politisch und gesamtgesellschaftlich mit ein und sicherlich jetzt auch den Krieg in der Ukraine. Er hat es geschafft ein Konstrukt zu bilden, in dem für mich alles zusammenkommt.
Du hast ja auch bei Franz Ruppert eine Ausbildung gemacht.
2017 habe ich damit angefangen. Erstmal nur für mich, um mir mit dieser Methode bestimmte Themen anzugucken und weil ich es auch liebe, Theorie und Praxis zu vereinen. Ich habe erst darüber gelesen und es dann in der Praxis ausprobiert, wo es mich auch überzeugt hat. Das habe ich eine Weile gemacht und dann habe ich beschlossen die Ausbildung zu machen. Und die habe ich vor einem Jahr abgeschlossen.
Was bist du jetzt?
IOPT-Trauma Therapeutin. Die Methode ist die Identitätsorientierte Psycho Traumatherapie. Was wir von früher kennen ist ja Systeme aufzustellen, wie zum Beispiel Familiensysteme nach Hellinger. Das hast du sicher schon mal gehört. Da haben wir ja immer äußere Systeme aufgestellt, und jetzt stellen wir sozusagen unser eigenes inneres System auf und gucken es uns an. Der Ansatz überzeugt mich auch, da er sehr selbstbestimmt ist. Ich habe nicht einen Therapeuten, wie bei der Verhaltenstherapie und bei der Tiefenpsychologie. Da sitzt nicht jemand und stellt mir Fragen, sondern ich habe eine Frage ans Leben oder zu meinen Vater oder zu meiner Krankheit oder zu einem Symptom und ich entscheide darüber, ob und wieviel ich damit arbeiten will.
Als Therapeutin begleite ich den Prozess anhand dieses Theoriemodells und nicht nur das, sondern natürlich auch mithilfe meiner Erfahrungen, die ich mitbringe.
Eine letzte Frage habe ich noch. Hast du Träume für die Zukunft?
Ja, ich habe immer Träume. Im Moment keine konkreten. Ich habe ja diese Ausbildung gemacht und mein Traum und meine Idee war, damit zu arbeiten. Ich habe eine Webseite gemacht und einen Raum gefunden und es für mich rund gemacht. Bei mir ist es aber ständig so, wenn es dann rund ist, habe ich erst die Möglichkeit, mich zu fragen: Will ich das jetzt tun?
Ich arbeite damit aktuell noch sehr begrenzt. Einmal im Monat bin ich in einer Gruppe, in der diese Arbeit stattfindet und ich kann da in Absprache oder nach Wunsch von Teilnehmern arbeiten, also leiten.
Wenn ich eine Form von Unterstützung hätte, dann könnte ich sicherlich hier in der Kommune im Zusammenhang mit der Altenarbeit und aufgrund der Vernetzung einen schönen Raum bekommen, wo ich mein Wissen einbringen könnte. Was ich nicht bekommen würde... ich könnte es ehrenamtlich machen. Und da ich ja aus dem sozialen Bereich komme... ich habe viele Tausend Euro in meine Ausbildungen gesteckt, und ich weigere mich, das ehrenamtlich zu machen.
Was wäre denn dein Traum diesbezüglich?
Ich glaube, dieser Traum ist jetzt gerade ausgeträumt.
Ich habe eine Gewissheit darüber gewonnen, dass ich im Prozess bin. Ich suche mir ja Orte und habe den ja auch gefunden mit dieser Kollegin und dieser Gruppe, in der ich eingebunden bin, ich habe einen Ort und einen Raum, in dem Entwicklung möglich ist und wo menschliche Begegnung möglich ist, so wie ich sie mir wünsche. Dieses Konstrukt würde ich natürlich gerne übertragen auf andere Ebenen, aber ich sehe das im Moment nicht. Ein Traum wäre, einen Ort zu finden, wo ich mein Wissen einbringen könnte, es aber nicht verschenken müsste, sondern eine Wertschätzung stattfinden würde. Wenn ich es verschenke, erhält es keine Wertschätzung.
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