Wie geht ihr mit eurem Wissen und Können um? Reinhold und Maria (18)
Reinhold, 70, und Maria, 69, XXX im März 2022.
Reinhold: Es gibt zweierlei, das eine ist natürlich das berufliche Wissen, das man sich angeeignet hat und das zweite ist Wissen, das man sich nebenher durch das allgemeine Leben oder auch durch Hobbys angeeignet hat. Wenn ich jetzt mal mit dem Beruflichen anfange, ich bin 2016 in die Rente gegangen, ein Jahr früher als normal, und war damit noch ein Jahr an die Firma gebunden und durfte sonst nichts weiteres tun. Dann ab 2017 war ich sozusagen von der Firma frei und konnte andere Aktivitäten machen. Ich habe dann aufgegriffen, was mir vorher schon mal angetragen worden war. Ich war in der Raumfahrt tätig und mir wurde vorgeschlagen, auf europäischer Ebene als unabhängiger Experte für die Begutachtung von Angeboten tätig zu sein, die im Rahmen der EU-Raumfahrtprogramme zur Förderung ausgeschrieben werden. Diese Angebote müssen bewertet, ausgewertet und kategorisiert werden bevor für sie eine Förderung ausgesprochen werden kann. Und in diesen Prozess bin ich 2018 hineingekommen. Es geht darum, Angebote, die dort einlaufen, erstmal durchzusehen - ist alles da - ist alles in Ordnung, was da angeboten wird - ist es sinnvoll - wie weit entspricht es den Vorgaben für dieses Angebot und wie könnte dieses Angebot bewertet werden für sich selbst und im Vergleich zu anderen.
Das heißt, du hast dich nach der Berufstätigkeit selbständig gemacht.
Das ist quasi ein selbständiger Gutachter, ja. Ich habe einen eigenständigen Vertrag für die Zeitstrecke, in der diese Arbeit stattfindet. Nach dieser individuellen Auswertung der einzelnen Experten für ein Angebot setzen sich dann diese zusammen, diskutieren ihre Bewertungen und müssen einen Konsens finden, falls es Unterschiede in der Auffassung gegeben hat. Und dieser Konsens wird dann verwendet, um den Prozess hin zu einer Förderung anlaufen zu lassen.
Ich verstehe es so, dass du in dieser Funktion dein Wissen und Können weiterhin sehr gut unterbringen kannst.
Ja, das ist allerdings periodisch relativ kurz. In der Regel eineinhalb bis zwei Monate im Jahr, was mir auch ganz zurecht kommt, weil ich ja auch verschiedene andere Aktivitäten habe.
Das hört sich perfekt an unter dem Aspekt, dass du dein Wissen nicht brach liegen lassen musst, sondern es weiterhin einbringen kannst.
Ja das ist richtig insofern als ich in meiner Tätigkeit zwei Aktivitäten gefolgt bin. Ich war zum einen technischer Projektleiter für verschiedene Projekte und aber auch am Schluss Vertriebsleiter, der selbst Angebote geschrieben hat. Insofern kann ich genau diese beiden Kompetenzen in die Bewertung dieser Angebote einbringen.
Wie lange willst du das machen?
Das kommt darauf an. Im Frühjahr 2018 war die erste Bewertungsphase. Im Jahr darauf war es wieder so und im Jahr 2020 ist es ausgefallen wegen der Umstellung des bisherigen Programmes auf ein neues Programm. Im Jahr 2021 ist der Prozess ausgefallen wegen Corona, da waren keine Angebote, weil dort auch nur relativ sporadisch gearbeitet wurde und jetzt ab 2022 läuft das ganze wieder an. Es ist jetzt zum dritten Mal, dass ich das mache. Es kommt halt immer darauf an, ob Angebote für meinen Kenntnis-Bereich abgegeben werden. Ich arbeite aktuell daran. Es läuft immer im März, April bis Anfang Mai, die einzelnen Schritte sind zeitlich etwas auseinander gezogen. Ob ich dann nächstes Jahr wieder beteiligt bin, weiß ich nicht.
Aber du von dir aus würdest wollen.
Jaja.
Darf ich jetzt mal Maria fragen. Gibt es bei dir etwas vergleichbares, so dass du sagst, das, was ich weiß und wirklich gut kann, kann ich weiterhin einbringen?
Maria: Nicht so. Ich bin leider auch ein Jahr früher in Rente gegangen. Das würde ich nicht mehr so machen, denn mir fällt die Decke auf den Kopf. Ich war Grundschullehrerin. Zunächst mal habe ich mich auf die Pensionierung gefreut. Ich hatte zwischenzeitlich auch ein Burnout. Es ist ein Beruf, der viel von einem fordert, und wenn man über sechzig ist, wird er sehr schwer, er fordert einfach viel Kraft, Zeit und Energie. Aber der Hauptgrund für die frühere Pensionierung waren damals noch zwei, jetzt drei Enkelkinder, um die wir uns regelmäßig kümmern. Gleichzeitig war ich über die Pensionierung nicht glücklich. Also habe ich noch drei Jahre lang nebenamtlich einige Wochenstunden Religion unterrichtet. Diese Tätigkeit ließ sich gut mit der Betreuung der Enkelkinder vereinbaren.
Das war für mich einfach nur schön. In meinem alten Job, an meiner alten Schule, in einem mir vertrauten Fach, ohne Stress, und die meisten Kinder waren auch begeistert. Ich habe versucht, ihnen ein positives Gottesbild nahezubringen. Dann kam Corona und hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Beim Distanzunterricht war Religion weniger gefragt. Ich habe zwar meine Pflicht erfüllt und immer wieder etwas für den Distanzunterricht geliefert, aber dann kam bei mir eine sehr schwere Krankheit hinzu. Und damit war dann Schluss. Im Jahr 2020 habe ich meinen Arbeitsvertrag nicht mehr verlängert und seitdem fehlt mir etwas.
Im ersten Jahr war klar, ich muss erst wieder vollständig genesen. Und im zweiten Jahr habe ich mich nochmal in meiner alten Schule gemeldet, aber es gab für mich keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr. Und jetzt, im dritten Jahr, bin ich immer noch dabei, mich mit dem Nichtstun zu arrangieren.
Das fällt dir nicht leicht.
Absolut nicht. Es war perfekt, auch die Struktur, zwei Mal in der Woche in der Schule zu arbeiten, einen festen Plan zu haben.
Gibt es sonst Tätigkeiten oder Aktivitäten, die du vielleicht ehrenamtlich machst?
Noch nicht, Corona hat uns jetzt zurückgeworfen. Ich habe letztes Jahr zum Asylhelferkreis hier in der Gemeinde Kontakt aufgenommen und da wäre schon Bedarf an Leuten, die die Kinder unterrichten. Ich habe jetzt erfahren, dass die Grundschule in unserer Gemeinde eine Klasse für ukrainische Kinder aufmacht. Es gäbe bestimmt Möglichkeiten, unsere Gemeinde sucht außerdem ehrenamtliche Schulweghelfer, das habe ich früher schon gemacht. Es gibt noch mehrere Schulen im Landkreis, die Helfer für ukrainische Klassen suchen. Aber ich bin vor dem allen noch zurückgeschreckt, weil wir ja regelmäßig unsere drei Enkelkinder betreuen.
Wohnen die Kinder bei euch in der Nähe?
Ja. Eine viertel Stunde Fahrweg. Abschließend möchte ich noch sagen, ich werde garantiert nicht gar nichts tun in Zukunft. Ich muss wieder etwas mit Kindern und mit Schule zu tun haben.
Was hält dich im Moment noch zurück?
Die Inzidenzzahlen. Wir haben 2000er Inzidenz. Wir sind beide vorerkrankt und Risikopatienten. Ich hätte jetzt schon Angst, Corona zu bekommen.
Ich würde gerne Reinhold nochmal fragen. Wenn du arbeitest, musst du dann raus unter die Leute oder vielleicht auch reisen?
Reinhold: Dieses Jahr geht alles online. Die anderen Male war ich eine Woche in Brüssel für die Zusammenkunft aller Experten.
Hast du auch Angst, dich anzustecken?
Vielleicht etwas weniger als Maria, aber Angst habe ich schon, wir sind vorsichtig, wir gehen schon noch raus, wie gehen einkaufen, aber wenig und auch zu Zeiten, in denen wenig los ist. Wir gehen nicht auf große Veranstaltungen oder sowas.
Maria: Wir haben ja die Verantwortung für die Kinder. Beim Sohn und der Schwiegertochter, die beide Homeoffice machen, basiert ja alles darauf, dass die Kinderbetreuung regelmäßig funktioniert. Es gab schon einige Verdachtsmomente und Quarantäne und Abstand halten, also das verursacht viel zu viel Trouble und Schwierigkeiten. Das Wichtigste ist die Verantwortung für die Kinder in unserem Leben.
Noch eine Frage: Habt ihr Hobbys?
Reinhold: Ich war früher musikalisch unterwegs in einer Band, das hat aber schon vor Corona aufgehört. Aber ich habe mit ein paar Nachbarn angefangen, hier eine Band aufzubauen. Die ist jetzt in der Coronazeit darniedergelegen. Ein paar Mal haben wir uns getroffen, dann aber nicht mehr, und jetzt ab April wollen wir das wieder aufleben lassen. Und dann habe ich noch eine zweite musikalische Tätigkeit mit einer Band, mit der wir vor 45 Jahren aufgehört haben und jetzt wieder neu anfangen. Da findet jetzt Ende März zum ersten Mal wieder eine Probe statt.
Welche Musik macht ihr?
Oldies aus den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren.
Und welches Instrument spielst du?
Keyboard und Saxophon. Und Bassgitarre.
Und singst du auch?
Jaja.
Maria: Er singt auch noch in einem Chor.
Aber der Chor kann auch nicht stattfinden wegen Corona, oder?
Reinhold: Der findet zum Teil statt. Es gibt Leute, die gehen hin derzeit, aber die Probe wird auch per Zoom übertragen. Ich nehme nur noch von zuhause und per Zoom teil.
Singt ihr denn zusammen per Zoom?
Also ich höre die Leute, die im Chorraum sind, die höre ich schon, aber die hören mich nicht. Weil das wäre Zeitverzögert, das ginge nicht.
Ich würde gerne noch eine letzte Frage stellen, an euch beide. Habt ihr Träume für die Zukunft?
Reinhold: Der einzige Traum, den ich noch habe ist, solange wie es mir möglich ist, die Kinder zu begleiten, dass aus denen vernünftige gute Schüler und gute Menschen werden. Wie lange das geht, weiß ich nicht, das hängt einfach davon ab, wie alt kann man werden. Und wenn Corona vorbei ist, einfach wieder mobiler sein, andere Hobbys ausleben, mal dorthin fahren und mal dorthin, was wir jetzt einfach überhaupt nicht machen. Außer gemeinsam mit den Kindern beim Skifahren waren wir jetzt.
Maria: Da schließe ich mich an. Unser Lebensinhalt sind die Kinder. Die sind ja noch klein, zwischen drei und acht, und da haben wir noch hoffentlich lange vor, den Sohn und die Schwiegertochter zu unterstützen. Die Kinder sind wirklich unser Lebensinhalt. Was ich mir für mich privat noch wünsche wäre, ich habe einen sehr großen Freundes- und Bekanntenkreis und da liegt halt sehr viel auf Eis. Ich habe heute wieder etwas abgesagt. Ich traue mich noch nicht. Und auch mit den Kindern. Da habe ich damals meinen Beruf ein bisschen reingebracht, ihnen Schwimmen beizubringen. Jetzt war ich dabei beim Skifahren, beim Kinderturnen war ich mit ihnen, also insgesamt den Kindern wieder mehr Freiräume zu öffnen und sie da zu begleiten. Das wäre ein echter Traum von mir. Außerdem habe ich angefangen, kleine Kinderbücher für meine Enkelinnen zu schreiben; zwei habe ich fertig. Und ich fotografiere leidenschaftlich gern und verfasse entsprechend Fotobücher.
Reinhold: Eine Sache möchte ich noch ergänzen. Diese Expertentätigkeit bei der EU, die würde ich schon ganz gerne noch einige Zeit weitermachen. Das heißt für mich einfach am Ball bleiben was läuft auf der Welt in Sachen Raumfahrt. Und das Wissen, was ich da habe, das möchte ich schon ganz gerne noch weiter vermitteln, denn ich sehe an den Angeboten, dass ich durchaus up to date bin.
Ist es nicht so, dass du dich auch weiterbilden musst, um weiterhin am Ball zu bleiben?
Ja natürlich. Mit neuen Techniken und Materialien, da kann ich natürlich nur lesen, was im Internet zugänglich ist, denn woandersher kann ich kein Wissen mehr beziehen. Das muss ich aus dem Internet beziehen. Es ändert sich ja nicht sprunghaft in der Technik, es dauert doch immer zehn oder zwanzig Jahre bis ein neues System komplett eingeführt wird. Bis dahin bin ich dann wahrscheinlich auch bei der EU raus.
Maria: Ich wollte noch etwas sagen. Es wäre schon schön, wenn ich wieder mal einen Fuß in die Schultür reinbringen würde. Aber mit siebzig vor einer Klasse stehen, das wollen ja dann auch die Kinder und die Eltern nicht mehr. Aber auf ehrenamtlicher Ebene gäbe es bestimmt viele Möglichkeiten wie Lesepate und Förderstunden vor allem für Asylanten- und Flüchtlingskinder. Da gibt es bestimmt Bedarf.
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