Angst, Kriegstrauma und Bluthochdruck

Der Krieg gegen die Ukraine lässt hierzulande derzeit niemanden kalt, anders als andere Kriege in der Welt. Alle Medien sind voll mit Bildern und Texten. Das Fernsehen berichtet ständig darüber. Unser deutsches kollektives Kriegstrauma wird angerührt und kann sich, je nach dem was damals im letzten Weltkrieg erlebt wurde, durch mehr oder weniger starke Gefühle äußern. Ich habe jedenfalls Angst. Das aber habe ich erst vor ein paar Tagen gemerkt. Ich will kurz beschreiben, wieso es so lange gedauert hat.

Um besser verstehen zu können, was da eigentlich in der Ukraine vor sich geht, auch was die Hintergründe angeht, habe ich erstmal zu Beginn des Krieges viel gelesen. Mit der Zeit merkte ich aber, dass diese vielen Informationen keineswegs dazu beitrugen, dass ich ruhiger wurde, im Gegenteil. 

Dann kamen vor ungefähr zwei Wochen Schwindelgefühle. Eher beiläufig habe ich meiner Physiotherapeutin davon erzählt und sie hat sofort das Buktdruckmessgerät geholt. Die Werte waren viel zu hoch. Bis zu diesem Zeitpunkt nahm ich keine Blutdrucksenkenden Mittel. Aber nachdem ich vorige Woche dann bei der Ärztin war und die Werte immer noch zu hoch waren, nehme ich jetzt täglich eine Tablette. 

Warum ich das hier schreibe? Ohne den erhöhten Blutdruck, ohne das Schwindelgefühl, das am Anfang stand, ohne die Initiative der Physiotherapeutin, das Messgerät zu holen und ohne den Besuch bei der Ärztin und das Gespräch mit ihr, hätte ich nicht gewusst, dass ich Angst habe. Die Ärztin hat sofort den Zusammenhang hergestellt und berichtet, dass es gerade vielen so geht wie mir. 

Seit ich weiß, dass ich Angst habe, geht es mir besser. 

Angeregt durch eine Freundin, die eine Ausbildung in Traumaarbeit machte, habe ich vor einigen Jahren begonnen, mich für das Thema Trauma zu interessieren, auch für kollektives Trauma. Ich hätte durchaus wissen können, dass ich von diesem Krieg aufgrunddessen, was man über kollektives Trauma weiß, persönlich angerührt werden könnte. Aber ich habe fest geglaubt, ich könne traumatisch nicht betroffen sein. Ich habe gedacht, dass diejenigen jetzt mit ihren Kriegstraumata in Berührung kommen, die schon auf der Welt waren, als Weltkrieg war. Da ich aber ein Jahr nach dem Ende des Krieges geboren wurde, ging ich rechnerisch davon aus, dass es mich nicht betrifft. Das war ein falscher Gedanke. 

Ich hätte aufgrunddessen was ich über kollektives Trauma gelesen hatte, durchaus wissen können, dass kollektives Trauma über Generationen geht. Aber irgendwie wollte ich dieses Wissen nicht auf mich übertragen, ich wollte emotional nicht betroffen sein. Jetzt kann ich sagen: Ich wollte mein Angst nicht wahrhaben. Ich hatte Angst vor der Angst. 

Aber ich hatte Glück, dass mein Körper Signale gezeigt hat. Ich habe irgendwie gespürt, dass das mit dem Schwindel wichtig ist, habe aber so getan als wäre es eher nicht so wichtig und bin darüber, dass die Physiotherapeutin die Schwindelgefühle dann als sehr wichtig eingestuft hat, in die richtige Richtung geleitet worden.

In den letzten Tagen habe ich erlebt, dass das Bewusstwerden der Angst eine befreiende Wirkung hat. Vor allem hat sich die Angst vor der Angst vollkommen aufgelöst. Jetzt geht es darum zu lernen, mit der Angst umzugehen. Unter anderem habe ich begonnen, in Gesprächen über den Krieg zu sagen, dass ich Angst habe. Was das mit sich bringt, werde ich hier berichten.




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