Radikale Partizipation

Im Bereich des freiwilligen Engagements ist vieles möglich wenn man eigene Ideen hat und sich auf den Weg macht, sie umzusetzen. Üblicherweise wird Ehrenamt und freiwilliges Engagement im Kontext von Helfen gedacht. Etwas für andere tun, für andere da sein, sich für andere einsetzen. Das aber kann auf vielfältige Weise passieren und auch etwas anderes als HELFEN sein. Es kann auch ein Lesekreis sein, den man ins Leben ruft, oder eine Gesprächsgruppe, oder eine Wander- oder Kochgruppe.  

Ehrenamt ist das, was man ohne Bezahlung tut. Man engagiert sich freiwillig und es ist kein Geld als Gegenleistung im Spiel. Das bringt viele Aspekte mit sich, die anders sind als wir es aus anderen Bereichen kennen. Ein wesentlicher Aspekt ist die Freiheit, so wie es das Wort FREIWILLIG schon beinhaltet. Als freiwillig engagierte Personen sind wir in sozialen und gesellschaftlichen Bezügen viel freier als wenn wir für unsere Arbeit bezahlt werden. Sobald Geld im Spiel ist, sind auch Erwartungen, Regeln und  Pflichten im Spiel. Wenn kein Geld im Spiel ist, sind wir frei und die Kriterien für unser Verhalten sind unsere ganz persönlichen Werte und Vorstellungen. Das führt übrigens oft dazu, dass sich Menschen im Freiwilligen Engagement als Privatmenschen fühlen und sich auch so verhalten. Ein großer Irrtum, wie ich finde, denn sobald wir uns in öffentlichen und gesellschaftlichen Bezügen befinden, sind wir nicht privat, ob mit oder ohne Geld im Spiel. 

Das ist eine lange Einleitung geworden, dabei wollte ich doch über radikale Partizipation schreiben. Partizipation heißt Teilnahme - oder Teilgabe, ein Begriff, den ich immer öfter lese und der mir gefällt, weil er darauf hinweist, dass es um Nehmen und Geben geht. Der Begriff radikale Partizipation ist mir in den Sinn gekommen und ich weiß gar nicht, ob er schon woanders verwendet wird. Ich werde mal eben googeln. …  radikal in diesem Zusammenhang meint tiefgehend, umfassend und bezieht sich auf das Wort radix, die Wurzel…

„Totale Partizipation“ habe ich gefunden und „radikal beteiligen“, Titel von Veröffentlichungen, die sich mit sozialen Projekten beschäftigen. Beim Lesen der Buchbeschreibung „radikal beteiligen“ ist mir klar geworden, dass im Fall von Lesekreis anders: meine Idee der radikalen Partizipation einen enormen Fehler aufweist. Denn das über den bloßen Lesekreis hinausgehende Konzept zu Lesekreis anders: habe ich alleine entwickelt, bevor die anderen dazukamen. Sie wurden also nicht am Konzept und den theoretischen Gedanken dahinter beteiligt. Die Partizipation beginnt erst bei der Umsetzung, und da liegt wahrscheinlich der Grund, wieso es nicht so läuft wie ich es mir gedacht habe. 

Ich war im Frühjahr 2022 inspiriert von Shared Reading und habe Ideen entwickelt, wie wir gemeinsames Lesen für uns in Köln bei den EFIs umsetzen können und habe auch gleich zu Beginn andere EFIs ins Boot geholt, aber das Boot war sozusagen mein Boot, ich habe nicht mit den anderen besprochen, welches Boot wir uns zulegen, sondern ein Boot bereitgestellt, in dem sich der Lesekreis anders: entwickeln kann. Für das, was sich dann in diesem Boot entwickelt, denke und verhalte ich mich jedoch radikal partizipativ. Das unterscheidet uns auch von Shared Reading, weil wir uns mit der Rolle der Lesebegleiterin abwechseln und allen, die wollen, die Möglichkeit geben, einen Text auszuwählen, ihn vorzulesen und die Gruppe beim Gespräch zu begleiten. 

Diese radikale Partizipation hat Folgen, die ich vorher nicht gewusst habe und auch nicht wissen konnte. 


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