Elke Heidenreich über ALTERN

Eben habe ich ALTERN zu Ende gelesen.

Elke Heidenreich wird niemals den "Mund halten", so wie ich es im vorherigen Post beschrieben habe. Denn sie wird sich als alte Frau nicht in Familienzusammenkünften mit Menschen befinden, die eine oder zwei Generationen jünger sind als sie und von denen sie einen oder eine oder mehrere zur Welt gebracht hat - ihre Kinder und Kindeskinder, mit denen sie gern zusammen ist, an denen sie Freude hat, die aber kein Interesse (mehr) an dem haben, was sie zu sagen hat. Frau Heidenreich ist nicht Mutter geworden und daher auch nicht Großmutter. Diesen familiären Rollen hat sie sich verweigert. 

Aber der Reihe nach. Ich habe das Buch verschlungen und bin begeistert. Ich gehöre nicht zu den Fans von Elke Heidenreich, aber natürlich kenne ich sie und habe mehr oder weniger mitbekommen, wann sie wiedermal einen Erfolg als Autorin hatte. Ich kann mich an ihre Anfänge als Frau Stratmann im Fernsehen erinnern. Später dann hörte ich immer wieder etwas über sie von Freundinnen, die begeistert ihre Bücher lasen.

Jedenfalls habe ich jetzt dieses Buch von ihr gekauft, weil ich selbst schon eins übers Altwerden geschrieben habe und mich immer interessiert, wie und wo sich andere im Thema positionieren, also aus welcher Perspektive sie schreiben. Elke Heidenreich schreibt vom ersten bis zum letzten Wort als alte Frau. Und das tut sie so wunderbar ehrlich und frech und eigensinnig und belesen, wie sie nun mal ist, und klug und individuell und persönlich, dass mir das Herz aufgeht. Ein tolles Buch!!!!

Da sie keine Kinder und keine Enkelkinder hat, kommen die vielen familiären Aspekte, die üblicherweise für alte Frauen eine wichtige Rolle spielen, in dem Buch nicht vor. Ihre familiäre Rolle mit Generationenfolge ist die der Tochter, und darüber schreibt sie auch. Als ich das Buch zu Ende gelesen hatte wurde mir nochmal klar: Was für ein Unterschied zu einem Leben als alte Frau mit Kindern und allem, was sich daraus entwickelt hat und immer weiter entwickelt, im Guten wie im weniger Guten. 

Ich bin gespannt auf die Reaktionen auf das Buch. Vor allem auf die von Frauen, die im Alter in der Rolle der Großmutter aufgehen. Wie werden sie Heidenreichs Buch finden? Werden sie es überhaupt lesen? Wie werden sie sich fühlen, wenn sie lesen, wie frei man als alte Frau denken und reden und sein kann? 

Ich bin ja Mutter und Großmutter. Aber ich habe mich nie darüber identifiziert. Das hat dazu geführt, dass ich die familiären Rollen mehr oder weniger gut erfüllt habe, und die gesellschaftlichen ebenfalls mehr oder weniger gut. Beim Lesen wurde mir nochmal klar, dass mein Glück im Alter im proaktiven Weltbezug liegt und nicht im reaktiven Familienbezug. Es macht weder Freude noch verleiht es Energie noch fühle ich mich selbstwirksam, wenn ich aufpassen muss, was ich bei Familienzusammenkünften sage und oft lieber den "Mund halte". Da suche ich mir lieber eine Rolle draußen in der Welt, etwas was zu mir und meinen Fähigkeiten passt und bringe das ein, was ich kann und darf mich selbstwirksam fühlen. Jedenfalls hat mich das Buch bestätigt in meiner Art alt zu sein und mir einen schönen Energieschub gegeben. 

Elke Heidenreich lässt sich einfach nicht einschüchtern, auch vom Alter nicht. Warum auch! Auch von berühmten Denkern und Denkerinnen nicht, die sie zitiert. Und sie zitiert viel in dem Buch. Manchmal ist sie einverstanden mit ihrem Zitat und manchmal nicht. Sie denkt einfach selbst. Immer. Und das macht großen Spaß beim Lesen. 

Und noch etwas: Das Buch hat einen wunderschönen Umschlag. Ich werde es bei mir rumliegen lassen, sichtbar, zu meiner Freude, und hin und wieder eine Seite aufschlagen, dort, wo ich Ecken umgeknickt habe und lesen, was ich mit dem Bleistift unterstrichen habe. Zum Beispiel: Alter ist nicht nur eine biologische, sondern auch eine kulturelle Tatsache.






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